Ich sitze auf einer alten, ehrfürchtigen Mauer. Sie besteht aus vielen kleinen Feldsteinen, die sorgsam aufeinander gelegt wurden. Mittlerweile hat sich auch die Natur Teile der Mauer zurückerobert und somit treten aus einigen Fugen kleine, grüne Halme hervor.
Mittlerweile hat sich auch die Natur Teile der Mauer zurückerobert und somit treten aus einigen Fugen kleine, grüne Halme hervor; auch warme, orange farbige Blüten fühlen sich hier wohl. Ich sitze und schaue in die Ferne.
Am Horizont kann ich sie sehen. Sie strahlen und scheinen bis zum Himmel zu ragen. Es sind mehrere glanzvolle Berge. Ich spüre sie. Doch greifen kann ich sie nicht. Ich möchte zugreifen. Doch ich bewege mich nicht. Ich sitze hier auf dieser Mauer.
Ich staune über die Berge und sehe andere Menschen sie erklimmen. Sie bewegen sich mühelos. Ich sehe ihre Gesichter im Glanze der Sonne. Jeder einzelne strahlt. Sie klettern hinauf. An der Bergspitze sind es wenige. Am Hang tummeln sich viele. Ich sitze und kann mich nicht bewegen.
Ich schaue hinter mich. Viel Schutt liegt dort. Er türmt sich zu einem Hügel. Es ist ein unbeschreiblich dunkler Hügel. Es fehlt an Glanz. Kein Strahlen. Verachtung. Schaue ich ihn mir genauer an, spüre ich seine Kraft. Wie ein Magnet hält er mich fest. Ich sitze fest.
Neben mir spüre ich einen Schatten. Ja, es ist ein sonderbarer Schatten. Halb Mensch, halb Wesen. Dunkel. Schwarz. Ich kann durch ihn hindurch sehen. Spüren kann ich ihn stark. Er dringt in mich ein. Jeden einzelnen meiner Gedanken füllt er nun aus. Es wird immer lauter. Es sind Worte, Sätze, ganze Geschichten. Sie prallen auf mich ein. Ich kann mich nicht bewegen.
Mein Kopf droht zu explodieren. Auf meiner anderen Seite sehe ich etwas Helles. Es ist kaum zu sehen. Ich spüre seine Wärme. Ich möchte es umarmen. Es weicht zurück. Je näher ich ihm komme, umso weiter entzieht es sich mir. Der schwarze Schatten hält mich zurück.
Ich bin gefangen auf meiner Mauer. Ich spüre ein Stechen in meinem Herzen. Meine Augen tränen. Eine Träne nach der anderen rollt meine Wangen hinunter. Ich kann sie nicht aufhalten. Sie rollen eine nach der anderen aus mir heraus. Mein Blick ist benebelt. Ich kann nichts mehr sehen. Ich möchte nichts mehr sehen.
Wie in Ketten gehüllt sitze ich hier. Bekannte Gedanken dringen in mich ein: "Schau nach vorn.", "Hör auf zu Jammern.", "Sei stark.", "Du schaffst das schon.", "Sieh nur was die anderen schaffen.", "Wenn der andere es schafft, schaffst Du das auch.", "Hab Dich nicht so." ... wie Dornen stechen diese Sätze in mich ein. Ich spüre jeden einzelnen Stich. Ich bewege mich nicht.
Bin ich stark? Muss ich schaffen, was die anderen tun? Nach einer Weile wird es ruhiger in mir. Ich blicke in mich hinein. Ich sehe mich in allen Facetten meines Lebens. Ich sehe mich traurig. Ich sehe mich fröhlich. Ich sehe mich wütend. Ich sehe mich lachend. Das bin ich. Ich fühle. Ich bin ich. Ich lebe. Ich fange an zu lachen und drehe mich um.
Ich steige von meiner Mauer und schaue mir den Hügel hinter mir erneut an. Ich schaue mir jeden einzelnen Stein und auch den Sand in seinem Inneren an. Ich entdecke alte Erfahrungen aus meinem Leben. Manche machen mir Angst. Doch als ich genauer hinschaue, sehe ich mich. Ich sehe mich, wie ich aus dieser Erfahrung lerne. Ich spüre, wie jede einzelne Erfahrung mich bereichert hat. Mir wurde hin und wieder weh getan, doch ich habe überlebt. Auch habe ich dabei gelernt.
Ich spüre wie jeder Stein, den ich in die Hand nehme und weglege, mich befreit. Ich entlaste mich mit jedem Handschlag. Ich sage ja zu mir und meinem Leben. Ja, ich habe dieses Leben gelebt.
Aus den Steinen des alten, dunklen, glanzlosen Hügels baue ich einen neuen Hügel. Einen Hügel, der mir keine Angst mehr macht. Einen Hügel auf den ich stolz bin. Ich bin der Hügel meines Lebens aus den Steinen meiner Erfahrungen. Jeden einzelnen Stein poliere ich sorgsam.
Mein Lebenshügel glänzt und strahlt. Ich bin stolz. Ich drehe mich zu meiner Mauer um. Der schwarze Schatten ist weg. Der weiße Schatten kommt auf mich zu. Er wirkt natürlicher als zuvor. Auch ist er gewachsen. Als er vor mir steht, spüre ich seine wärmende Ausstrahlung. Er verschmilzt mit mir. Ich spüre ihn in meinem Herzen. Es erwärmt und öffnet sich.
Eine Welle von Gefühlen durchdringt jede einzelne Zelle meines Körpers. Es sind Gefühle, die ich so lange in meinem Leben vermisst habe. Jetzt sind sie wieder da. Es ist Liebe, Verbundenheit und pures Glück.
Mein Herz öffnet sich weiter. Es öffnet sich nach außen in meine Umgebung hinein. Die Mauer ist brüchig geworden. Auch sie öffnet sich. Ich trete hindurch. Ich sehe Licht. Die Welt vor meiner Mauer ist bunt und fröhlich. Ich sehe Menschen, die auf mich zukommen und mich anlächeln. Ich strahle, ich lache, ich tanze, ich singe, ich bin glücklich. Ich bin mit ihnen.
Ich trete weiter hervor. Meine Schritte fühlen sich leicht an. Es scheint als würde ich schweben. Einen Schritt nach dem anderen wage ich mich weiter und weiter.
Wohin ich nun gehe? Das ist mir egal. Ich weiß wer ich bin und ich vertraue mir selbst voll und ganz.
Mein Leben hat mich hierhergeführt. Mein Leben liebt mich und ich liebe mein Leben jetzt und hier, weil ich bin wie ich bin.